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Von Porto Alegre nach Berlin. Lokale Sozialforen in Deutschland

Von Christoph Haug, Simon Teune und Mundo Yang (Mitarbeitende im Rahmen des Projektes Democracy in Europe and the Mobilization of Society am Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung über globalisierungskritische Bewegungen).

Nachfolgender Text ist erschienen als in: Forschungsjournal Neue Soziale Bewegungen, Heft 3, Jg. 18  (September 2005). S. 84-90.

1 Das Weltsozialforum als Vorbild

Die Idee, dass der neoliberalen Globalisierung nur mit einer breiten Allianz kritischer Akteure zu begegnen sei, fand schon in den 'intergalaktischen Treffen' ihren Ausdruck, zu denen die mexikanischen Zapatisten 1996 und 1997 zivilgesellschaftliche Gruppen aus aller Welt einluden. Mit dem ersten Weltsozialforum 2001 in Porto Alegre wurde diese Idee wieder aufgenommen und ein Ort für geschaffen, der Alternativen zur herrschenden Politik sichtbar machen sollte. Von Porto Alegre breitete sich die Forumsidee in die ganze Welt aus. Die positiven und mobilisierenden Erfahrungen in den Foren auf globaler und kontinentaler Ebene führten dazu, dass das „Idealmodell der Annäherung in der Vielfalt“ (Pleyers 2004) auch auf lokaler Ebene angestrebt wurde.[1] Drei Ideen aus der Charta, die das Selbstverständnis des Weltsozialforums beschreibt, sollen Ausgangspunkt sein, um einen Blick auf die lokalen Sozialforen in Deutschland zu werfen.[2] 

  • Die Charta betont die Diversität und Gleichberechtigung der Akteure, die in Sozialforen zusammenkommen (Artikel 9). 
  • Die Charta hat einen thematischen Bezug: Sie definiert Sozialforen als Orte, an denen sich Widerstand gegen die neoliberale Globalisierung sammelt (Artikel 1). 
  • Die Charta formuliert das organisatorische Ideal eines offenen Raumes, in dem gleichberechtigte Akteure aufeinander treffen, ohne Entscheidungen zu treffen oder Erklärungen in aller Namen zu verfassen (Artikel 6). Das schließt allerdings nicht aus, dass sich im Rahmen des Forums Bündnisse bilden, die als ein Akteur gemeinsam handeln (Artikel 7). 

Von diesen Punkten ausgehend soll im Folgenden rekonstruiert werden, wie die Sozialforumsidee in Deutschland aufgenommen wurde und wie der globale Widerstand gegen neoliberale Politik auf lokaler Ebene umgesetzt wird. Dabei lassen sich drei Fragen formulieren: welche Konstellation von Akteuren hat sich in den lokalen Foren gebildet? Inwiefern werden lokale Probleme in einen globalen Kontext gestellt? Und welche Rolle spielt das Spannungsverhältnis zwischen einer Ausrichtung als offenem Raum oder handelndem Akteur? Der Blick auf kleinräumige Entwicklungen wie die lokalen Sozialforen ist deshalb viel versprechend, weil lokale Netzwerke das Rückgrat sozialer Bewegungen bilden (Roth 1994). Als „institutionelles, identitätsstiftendes Gefüge“ (ebd.: 414) sind sie die Voraussetzung für Mobilisierungen und individuelle Zugehörigkeit. Dementsprechend suchen die Globalisierungskritiker im alltäglichen Umgang der Menschen, in ihren Kämpfen und Erfahrungen, den Hebel für eine Mobilisierung. Dabei werden Bewegungsthemen, je nach lokalen Traditionen und Gelegenheitsstrukturen, sehr unterschiedlich aufgenommen. Deutlich ist jedoch, dass lokale und globale Politik zwei untrennbar miteinander verflochtene Handlungsfelder sind, insofern globale Bedingungen zugleich der Ausgangspunkt und das Produkt lokaler politischer Maßnahmen sind.

2 Bedingungen lokaler Bewegung

Für die globalisierungskritischen Bewegungen waren zwar die Auseinandersetzungen um internationale Institutionen und Regierungstreffen identitätsstiftende Schlüsselerlebnisse. Nach dieser Phase, emblematisch bezeichnet durch die Städtenamen Seattle und Genua, konzentrierte man sich jedoch darauf, Globalisierungskritik auf lokaler Ebene umzusetzen. Dass sich mit dem Prozess der Globalisierung die Bedingungen für lokales Engagement gerade in Städten verändert haben, hat unter anderen Margit Mayer (2003) gezeigt. In der städtischen Politik hat ein Paradigmenwechsel eingesetzt, der sich auf drei Feldern niederschlägt: eine kompetetive Stadtenwicklung, die in erster Linie darauf ausgerichtet ist, bewegliches Kapital anzulocken; eine Erosion lokaler sozialstaatlicher Substanz, d.h. vor allem die Abkehr von sozialfürsorgerischen Ansätzen; und schließlich ein Wandel des Staatsverständnisses hin zu Governance-Arrangements, in denen die Ressourcen nicht-staatlicher Akteure genutzt werden sollen und der Staat bei der Lösung von Problemen moderierend und aktivierend wirkt.[3] Mit diesen Entwicklungen städtischer Politik wiederholen sich in den „global cities“ (Sassen 1996) weltweit bestehende Ungleichheiten in urbanem Maßstab. Folgerichtig wird die Kritik der globalisierungskritischen Bewegungen auch im Mikrokosmos der Städte artikuliert; die Gründung lokaler Sozialforen ist Teil dieses Prozesses.

3 Sozialforen in Deutschland

Die Entwicklung lokaler Sozialforen verläuft in Deutschland, wo die meisten Gründungen in die Jahre 2003 und 2004 fallen, langsamer als in anderen Ländern.[4] Bislang fehlt eine genaue Bestandsaufnahme lokaler Foren. Deshalb beziehen wir uns auf 40 lokale und 12 regionale Initiativen, die im Internet sichtbar sind.[5] Nicht alle sind in gleichem Umfang aktiv; einige dürften ihre Gründung nur um kurze Zeit überlebt haben, weil die anfängliche Energie abnahm oder interne Konflikte auftraten. Als gemeinsame Basis berufen sich viele Foren auf die Charta des Weltsozialforums. Nehmen wir also die einleitend erwähnten Punkte aus dieser Charta auf.

Die Sozialforen verstehen sich als Orte des Austauschs verschiedenster Akteure über traditionell bestehende Grenzen hinweg. Dies zeigt sich auch an der grundsätzlichen Offenheit der lokalen Foren. Die einzigen Gruppen, die in Deutschland explizit ausgeschlossen werden, sind Parteien sowie Vertreter einer rechtsradikalen Globalisierungskritik mit rassistischen, nationalistischen und antisemitischen Positionen. 

In den lokalen Sozialforen sind drei verschiedene Gruppen von Akteuren aktiv. Die wohl größte, moderate Strömung umfasst Gruppen um Attac, Kirchen und Gewerkschaften sowie aus der Friedens-, Frauen- und Ökobewegung. Dazu kommen Selbsthilfegruppen und kulturelle Initiativen. Eine zweite Strömung versammelt das radikale, spontaneistische Spektrum, das zum Teil aus der autonomen Bewegung hervorgegangen ist und die Selbstbeschreibung 'postautonom' verwendet. Die dritte Gruppe, die wohl den kleinsten Teil der Sozialforumsbewegung ausmacht, bilden schließlich trotzkistische und kommunistische Zirkel. Grundsätzliche ideologische Konflikte zwischen diesen drei Gruppen, aber auch unterschiedliche Politikansätze sind der Grund für eine Entmischung der Akteure in einigen Foren. Vor allem dort, wo postautonome Gruppen stark vertreten sind, nämlich in einigen Großstädten, scheinen sich die Foren zu homogenisieren. Dieser Prozess vollzieht sich entweder im Aufbau paralleler Strukturen oder sie setzt schleichend ein, indem Unzufriedene den Treffen fernbleiben.[6] 

Im Selbstverständnis lokaler Sozialforen wird in den meisten Fällen ein expliziter Bezug zu globalen Auseinandersetzungen hergestellt. Das beherrschende Thema ist allerdings die nationale Politik der Sozialkürzungen. In 9 von 52 Fällen wird überhaupt nicht auf das Sozialforumsmodell von Porto Alegre verwiesen. Hier dient der Name 'Sozialforum' lediglich als zugkräftiges Etikett für ein sozialpolitisches Aktionsbündnis. An vielen Orten waren die Hartz-Gesetze offensichtlich der Auslöser, ein Sozialforum ins Leben zu rufen. Sie werden - wie die Privatisierung öffentlicher Leistungen - als Teil der neoliberalen Umstrukturierung angesehen. Die lokalen Initiativen reagieren darauf mit Aktionen wie Bürgerbegehren oder der „Agenturschluss“-Kampagne, bei der Arbeitsämter in dutzenden Städten belagert oder besetzt wurden. Auch Beratungen für Betroffene der Kürzungen werden vielerorts angeboten. 

Viele lokale Sozialforen versuchen, in Veranstaltungen das Wissen über globale Probleme zu vertiefen. Über die Kritik am Bestehenden hinaus weisen die Foren auf Alternativen zur neoliberalen Politik hin: Im Sozialforum Elbe-Saale z.B. sollen alternative Entwürfe in einer Vielzahl von Veranstaltungen sichtbar werden. Auch die Verbesserung der demokratischen Substanz von Politik wird von lokalen Foren eingeklagt. So wird in Wuppertal die Möglichkeit eines partizipativen Haushaltes diskutiert, wie er in Porto Alegre bereits Realität ist.[7] 

Die Frage, wie ein lokales Sozialforum gestaltet werden soll, also die Spannung zwischen Raum und Akteur, ist das Thema anhaltender Diskussionen. Kann die Idee von Porto Alegre beibehalten werden, dass im Forum keine Entscheidungen gefällt werden, oder positioniert sich das Forum als handelnder Akteur in der lokalen Politik? Die Versuche, das Forumsmodell umzusetzen, fallen sehr unterschiedlich aus: Das Sozialforum Passau ist ein eingetragener Verein mit gewähltem Vorstand, das regionale Sozialforum Elbe-Saale dagegen eine ideelle Klammer für eine Vielzahl dezentraler Veranstaltungen. Der Großteil der Foren sieht monatliche Plena vor; andere - wie die überregionalen Foren - finden in großen Abständen als Kongress statt. Mit Blick auf diese bundesweiten Tendenzen soll die Analyse der „Initiative für ein Berliner Sozialforum“ (im folgenden BSF) zeigen, wie die Umsetzung eines lokalen Sozialforums konkret aussehen kann und welche Probleme dabei entstehen.

4 Das Berliner Sozialforum – zwischen Raum und Akteur

Der Blick auf das Berliner Beispiel erscheint aus mehreren Gründen aufschlussreich. Im BSF ist das postautonome Spektrum – anders als in den meisten deutschen Sozialforen - stark vertreten. Zudem ist Berlin hoffnungslos verschuldet und schwer von Sozialabbau betroffen. Hier scheint jene neoliberale Re-Strukturierung idealtypisch verkörpert, die die Grundlage für die Einbeziehung des Lokalen in die Globalisierungskritik bildet. Schließlich verdeutlichen die internen Diskussionen um 'Raum' oder 'Akteur' die Hindernisse beim Aufbau lokaler Sozialforen. 

Die Gründung des BSF im März 2003 fällt in den Zeitraum, in dem sich die ersten Sozialforen in Deutschland bildeten. Auch hier waren die positiven Erlebnisse deutscher Aktivisten auf dem Europäischen Sozialforum in Florenz 2002 ausschlaggebend gewesen. Aktive des Berliner stadtpolitischen Bündnisses 'Sozialer Ratschlag' sahen die Möglichkeit, über den Kreis einschlägiger Szenepersönlichkeiten hinaus politisch zu arbeiten. So forderte der Gründungsaufruf, „die global diskutierten Probleme auf eine Ebene runterzubrechen, die sie für die Mehrheit der Menschen sichtbar und erfahrbar macht“ (Berliner Sozialforum 2005). Das BSF sollte die selbst diagnostizierte Zersplitterung der Linken überwinden. Ziel war es, statt einer aktionsorientierten Organisation oder der herkömmlichen Kampagnenbündnisse einen Raum für nicht-hierarchische Vernetzungen zu schaffen. Trotz intensiver Bemühungen verfügt das BSF nicht über eigene Räumlichkeiten. Büro, Arbeitsgruppen und das monatlich stattfindende Plenum sind auf verschiedene, nur zeitweise nutzbare, Räume in der Stadt verteilt. 

Die Berliner Linke zeichnet sich seit jeher durch Spaltungen und ideologische Grabenkämpfe aus. Dass sich dennoch ein breites Spektrum politischer Akteure von Grünen, Gewerkschaftsvertretern über Repräsentanten der PDS bis hin zu (post-)autonomen Gruppen [8] im BSF zusammenfand, ist ein Indiz dafür, dass das Bedürfnis stärkerer Zusammenarbeit innerhalb der Linken selbst dort  existiert, wo eingefahrene fundamentale und bis in die persönlichen Beziehungen reichende politische Konflikte andauern. 

Die Teilnehmerzahl stieg in einer Hochphase auf etwa 80 und liegt derzeit regelmäßig bei 20 bis 30. Unter den Teilnehmenden waren anfangs unorganisierte genauso wie organisierte Personen. Allerdings beobachteten viele das Geschehen nur vorübergehend oder verstanden sich nicht als aktiver, tragender Teil des Sozialforums. Die Kontinuität wird heute durch 8 bis 10 Einzelpersonen gewährleistet, die sich schwerpunktmäßig im BSF engagieren. 

Wie in anderen großstädtischen Sozialforen zeigt sich auch in Berlin eine Tendenz zur Entmischung der Akteure. Bahn und Haberland (2004) haben die Entwicklung des BSF von März 2003 bis August 2004 nachgezeichnet und eine Homogenisierung des politischen Spektrums festgestellt, die sich entlang eines Konflikts über das Selbstverständnis des Sozialforums vollzog. Während die kommunistische und trotzkistische Linke das Sozialforum als Akteur verstand, der zu klassischen Massendemonstrationen mobilisiert, verteidigte die postautonome Linke die Idee des Sozialforums als Diskussionsraum und setzte bei punktuellen Aktionen eher auf unkonventionelle Protestformen. Schließlich zogen sich Teile der stärker an Organisierung orientierten trotzkistischen Gruppen aus dem BSF zurück, engagierten sich im gewerkschaftsnahen 'Berliner Bündnis gegen Bildungs- und Sozialraub' und gründeten später die Berliner Wahlalternative Soziale Gerechtigkeit (WASG). 

Derzeit ist das BSF mehrheitlich von postautonomen Linken im Alter von etwa 30 bis 50 Jahren geprägt. Zwar besteht Einigkeit darüber, weitere Akteure für das BSF gewinnen zu wollen; eine dauerhafte Zusammenarbeit etwa mit MigrantInnen, Kirchengemeinden oder Stadtteilinitiativen konnte jedoch noch nicht erreicht werden. 

Die lokale Globalisierungskritik des BSF wird in zahlreichen Diskussionsveranstaltungen, Workshops und Protestaktionen nach außen getragen. Das Protestrepertoire umfasst dabei Großdemonstrationen ebenso wie Blockaden, Besetzungen und kleinere Aktionen. Bislang liegt der Fokus des BSF auf den sozialen Missständen in Berlin. Es wendet sich gegen die Sozialreformen als neoliberale Politik der 'Produktion von Armut' und der 'massenhaften Verelendungen'. Arbeitsschwerpunkte sind bislang die rot-grünen Arbeitsmarktreformen, die Kürzungen an den Universitäten und die Einführung von Studiengebühren, die Abschaffung des Sozialtickets für den öffentlichen Nahverkehr sowie die mangelhafte Verwaltung und der Leerstand öffentlicher Gebäude. Überlokale Themen wie die Entschuldung ärmster Länder oder die Einführung einer Devisentransaktionssteuer stehen dagegen nicht im Vordergrund. Die politischen Aktionen des BSF zielen entsprechend auf lokale und nationale Adressaten. So wurde gegen den SPD-Parteitag im Juni 2003 oder den Doppelhaushalt des Berliner Senats im März  2004 demonstriert. Die Proteste ergreifen Partei für die Menschen vor Ort, wie die Forderung nach einem verbilligten Nahverkehrsticket für Arbeitslose und Sozialhilfeempfänger zeigt. 

Neben konkreten Forderungen werden aber auch sozialpolitische Alternativen propagiert. So stieß das von Grottian, Narr und Roth (2003) vorgelegte Konzept einer sozialen Grundsicherung, das die Anerkennung sozial engagierter Arbeit einschließt, im Plenum des BSF auf weitgehenden Konsens. Allerdings gelang es bislang nicht, solche weitergehenden Überlegungen einer breiteren Öffentlichkeit außerhalb des Bewegungsspektrums bekannt zu machen (vgl. Bahn/Haberland: 69f). 

Wenngleich der Konflikt um Raum und Akteur durch das Abwandern einer Gruppe an Bedeutung verloren hat, bleibt die grundlegende Problematik erhalten. Viele im BSF Aktive plädieren für eine vorsichtige Ausbalancierung beider Prinzipien. Das BSF müsse „Wege finden, wie es selbst in soziale Konflikte in der Stadt interveniert, punktuell Akteur ... ist, ohne die Fokussierung auf politische Klärung und Verständigung innerhalb der Linken einem tatsächlichen oder vermeintlichen Handlungsdruck zu opfern“ (Ohne Autor 2004: 3). Die Umsetzung dieses Balanceakts ist jedoch aus zwei Gründen im Rahmen eines kontinuierlichen lokalen Sozialforums schwieriger als auf großen, zeitlich begrenzten Foren: Zum einen erlaubt dort die Vielzahl von Einzelveranstaltungen einen stärker themenbezogenen Austausch, bei dem linke Identitätspolitik in den Hintergrund treten kann. Ein Weg, diese Erkenntnis auf lokaler Ebene umzusetzen, ist die Einrichtung themenbezogener Arbeitsgruppen im BSF. Zum anderen ist auf eventartigen Sozialforen die unmittelbare Konsensorientierung reduziert, so dass im Rahmen eines unverbindlichen Austauschs Zuhören und voneinander Lernen erleichtert werden. Auch in regelmäßigen Plena könnte die Aufhebung des Zwangs zur kurzfristigen Einigung eine positive Wirkung entfalten. 

Die bisherige Entwicklung im BSF kontrastiert deutlich mit dem Ideal einer Einheit in der Vielfalt. Der Gedanke liegt also nahe, dass sich das Potenzial der Sozialforumsidee auch auf lokaler Ebene vor allem in Form von Großveranstaltungen entfalten kann. Tatsächlich plant die 'Initiative für ein Berliner Sozialforum' derzeit ein erstes größer angelegtes Berliner Forum für Herbst 2005, zusätzlich zu den monatlichen Treffen der Initiative.[9] Ein erstes Vorbereitungstreffen im Juni ergab reges Interesse auch bei Gruppen, die sich sonst nicht am BSF-Plenum beteiligen. Auch wenn die Berliner Initiative schon heute de facto als Sozialforum verstanden wird, bleibt also mit der Perspektive punktueller größerer Veranstaltungen die Hoffnung auf eine breite Vernetzung der Globalisierungskritiker erhalten.

5 Schluss

Der Blick auf lokale Sozialforen in Deutschland hat gezeigt, dass die Idee des Weltsozialforums vielgestaltig auf lokale Verhältnisse übertragen wird. Die unterschiedlichen Akteure, die sich dabei zusammenfinden, scheinen in vielen Fällen in fundamentale Konflikte verwickelt zu sein. Dabei spielen das Selbstverständnis des Forums, die politische Sozialisation der Teilnehmer oder ideologische Differenzen eine Rolle. Homogenisierung und Demobilisierung sind häufig die Konsequenz - und lassen die Foren damit in Widerspruch zu der ursprünglichen Idee einer Einheit in Vielfalt geraten. Einen starken Schub erhielt die Forumsbewegung durch die Mobilisierung gegen die Sozialkürzungen. Im Zuge der Hartz IV-Proteste interessierten sich vielerorts Menschen, die zuvor politisch nicht aktiv waren, für die Sozialforen. Die Frage liegt deshalb nahe, welche Auswirkungen ein nachlassendes Interesse an diesem Thema hätte. Kann das Engagement konsolidiert und die Brücke zu globalen Entwicklungen geschlagen werden? Unklar bleibt auch, wie sich die lokalen Sozialforen organisatorisch entwickeln. Am Berliner Beispiel wurde gezeigt, auf welche Probleme und Grenzen kontinuierlich tagende Foren stoßen. Ob diskontinuierliche Formen besser geeignet sind, um sich dem Idealmodell des Sozialforums anzunähern und die Zusammenarbeit auf lokaler und regionaler Ebene zu fördern, bleibt zu untersuchen.

Literatur

Bahn, Evelyn/ Haberland, Marius 2004: Projektbericht: "Initiative für ein Berliner Sozialforum". Berlin: Freie Universität. http://www.socialforum-berlin.org/downloads/041201_studie_sozialforum.pdf

Berliner Sozialforum 2005: Für eine Soziale Stadt. Für ein Berliner social forum. http://www.mphase.net/wiki/index.php?F%FCr%20ein%20Berliner%20socialforum.

Grottian, Peter/Narr, Wolf-Dieter/Roth, Roland 2003: Es gibt Alternativen zur Repressanda 2010! http://www.socialforum-berlin.org/downloads/repessanda_lang.pdf

Herzberg, Carsten 2002: Der Bürgerhaushalt von Porto Alegre. Münster: LIT Verlag.

Köhler, Bettina/Wissen, Markus 2003: Glocalizing Protest: Urban Conflicts and Global Social Movements. In: International Journal of Urban and Regional Research, Jg. 27. Heft 4, 942-951.

Mayer, Margit 2003: Lokale Politik und Bewegungen im Kontext der Globalisierung. In:

Scharenberg, Albert/Schmidtke, Oliver (Hg.), Das Ende der Politik? Globalisierung und der Strukturwandel des Politischen. Münster: Westfälisches Dampfboot, 277-300.

Ohne_Autor 2004: Produktives Missverständnis. http://www.socialforum-berlin.org/downloads/artikel_ak040202.rtf

Pleyers, Geoffrey 2004: The Social Forums as an Ideal Model of Convergence. In: International Social Science Journal, Jg. 56. Heft 182, 507-17.

Roth, Roland 1994: Lokale Bewegungsnetzwerke und Institutionalisierung von neuen sozialen Bewegungen. In: Neidhardt, Friedhelm (Hg.), Öffentlichkeit, öffentliche Meinung, soziale Bewegungen. Opladen: Westdeutscher Verlag, 413-36.

Sassen, Saskia 1996: Metropolen des Weltmarkts. Die neue Rolle der Global Cities. Frankfurt am Main/New York: Campus.

 Fußnoten

[1] Die Bezüge auf Weltsozialforum (WSF) und Europäisches Sozialforum sind allerdings nicht nur positiv. Basisdemokraten und radikale Linke beklagen die Dominanz einiger Funktionäre und den Auftritt linkspopulistischer Politiker auf dem WSF. Auf dem ersten WSF außerhalb Porto Alegres in Mumbai und auch auf dem Europäischen Sozialforum in London hat es bereits separate Treffen der Forumskritiker gegeben. Gerade vor dem Hintergrund dieser Kritik setzten Basisdemokraten vielerorts große Hoffnungen in die lokalen Sozialforen.

[2] Eine deutsche Version der Charta findet man auf der Internetseite des Sozialforums in Deutschland: http://www.dsf-gsf.org/prinzipien/index.html

[3] Mayer weist darauf hin, dass durch diese Prozesse eine ambivalente Gelegenheitsstruktur für Bewegungsakteure entstanden ist. Indem staatliche Aufgaben von Trägern aus dem dritten Sektor übernommen wurden, hat ein Teil der städtischen Bewegungen die geschilderte Entwicklung mit getragen, dabei aber auch größeren Einfluss auf staatliche Politik erhalten (Mayer 2003: 286-291).

[4] Auch das erste nationale Sozialforum im Juli diesen Jahres in Erfurt fand vergleichsweise spät statt.

[5] Natürlich gibt es darüber hinaus Aktivitäten. Ostdeutsche Städte z.B. sind in der Zusammenstellung unterrepräsentiert. [6] So hat sich in Hamburg die „Initiative Hamburger Sozialforum“ neben dem „Hamburger Sozialforum“ gebildet; in Berlin und Köln dominieren postautonome Linke die Foren, während andere Gruppen Bündnisse gegen die Sozialreformen gebildet haben.

[7] Bei diesem Beteiligungsmodell können die Bürger von Porto Alegre zu großen Teilen über die Investition öffentlicher Gelder bestimmen (Herzberg 2002).

[8] Unter den aktiven Gruppen waren: Für eine linke Strömung (F.e.l.S.), Antifaschistische Linke Berlin (ALB), Internationale Sozialistische Linke (ISL), Linksruck, Sozialistische Alternative (SAV), PDS, Linke Gewerkschafter, Erwerbsloseninitiativen aus Ver.di und GEW, Initiative Anders Arbeiten, Erbwerbslosenkreis, Anti-Hartz-Bündnis, Das Aktionsbündnis ACT!, Attac, Anti-Atom-Plenum, Frauenforum, Internationale Freundschaft/Solidarität (Bahn & Haberland 2004: FN 67).

[9] Das nach diesem Modell im Juni veranstaltete 1. Bremer Sozialforum wurde von der Berliner Initiative positiv aufgenommen.

 

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