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Thesen zum Prozess der Sozialforen


1. Mit dem Weltsozialforum, dem Europäischen Sozialforum und mit den inzwischen zahlreichen regionalen oder lokalen Sozialforen ist ein neues politisches Subjekt auf dem Schauplatz der politischen Auseinandersetzungen aufgetreten. Das gesamte Spektrum der direkt und indirekt von der neoliberalen Globalisierung Betroffenen hat sich – unabhängig von politischen, religiösen oder sonstigen Überzeugungen – zusammengefunden, um die inhumanen Folgen dieses modernen globalisierten Manchester-Kapitalismus zu analysieren und nach ökonomischen und gesellschaftlichen Alternativen zu suchen. Die Bewegung der Sozialforen hat einen freien Raum geschaffen, in dem seit nunmehr drei Jahren einhergehend mit einer neuen politischen Streitkultur Meinungen ausgetauscht und Probleme diskutiert wurden, was zu der Erkenntnis führte, dass nur eine andere Weltordnung ohne den Vorrang der Profitlogik die drängendsten Menschheitsprobleme wie Armut, Krieg und Umweltzerstörung lösen kann. “Eine andere Welt ist möglich!” Diese Überzeugung haben sich inzwischen Millionen Menschen zu eigen gemacht. Auf einer Vielzahl von Veranstaltungen – ob nun in Porto Alegre, in Florenz oder an anderen Orten dieses Erdballs – hat die Suche nach konkreten Alternativen begonnen. Die Diskussionen reichen von dem Beispiel des Bürgerbeteiligungshaushalts in Kommunen bis zu umfassenden Gesellschaftsmodellen.

2. Der kapitalistische Globalisierungsprozess hat in eben dieser Zeit eine weitere Dynamik entwickelt. Die Diktatur der Finanzmärkte mit ihrer Standortideologie, der Run auf die schnellen Börsengewinne, die massenhafte Privatisierung öffentlichen Eigentums, der Abbau sozialer Errungenschaften, die Beseitigung von Arbeiter- und Bürgerrechten haben die neoliberale Globalisierung auch im industriell entwickelten Norden schmerzhaft spürbar gemacht. Arbeitslosigkeit betrifft nicht mehr nur die traditionelle Industriearbeiterschaft. Sozialabbau und Bildungsmisere treffen auch Teile des Mittelstands. So wächst der Widerstand in breiten Schichten der Bevölkerung. Streiks, Demonstrationen und Aktionen des zivilen Ungehorsams werden von immer mehr Menschen getragen. Traditionelle Formen des gewerkschaftlichen Widerstands werden durch spektakuläre Aktionsformen der neuen sozialen Bewegungen ergänzt.

3. Diese Bewegung des sozialen Widerstands wird stärker. Das Vertrauen in die egalisierten etablierten Parteien des Neoliberalismus schwindet. Immer mehr Menschen setzen in ihren Hoffnungen für eine bessere Zukunft in einer friedlichen Welt auf diese Bewegungen. Sie erwarten Lösungen und mehr als theoretische Erörterungen. Sie erwarten Aktionen und praktische Schritte auf dem Weg in eine andere Welt. Das ist eine neue Herausforderung für den Prozess der Sozialforen. Der freie Raum der Meinungen und Diskussionen bedarf der Ergänzung durch einen Kristallisationspunkt, durch ein organisatorisches Zentrum des praktischen gemeinsamen Widerstands unter den neuen Bedingungen eines gesamtgesellschaftlichen Ungehorsams. Ein Beispiel: Die Streikaktionen der Gewerkschaften bedürfen für ihren Erfolg mehr denn je der Akzeptanz durch eine Bevölkerungsmehrheit. Angesichts der weithin eingeebneten Medienlandschaft kann diese Akzeptanz nur durch die Aktivitäten der sozialen Bewegungen erzeugt werden.

4. Eine solche Aktionsorientierung der Sozialforen würde jedoch unter den gegenwärtigen Bedingungen eine politische Verengung bedeuten. Sie müssen der freie Raum des Meinungsaustausches mit einer gewissen Unverbindlichkeit und ohne konkrete Beschlüsse bleiben.  Nicht jeder, der an diesem Prozess teilnimmt, ist heute schon bereit, eine solche Organisationsform für sich zu akzeptieren. Die notwendige Ergänzung ist bereits im Entstehen begriffen: Im Europäischen Sozialforum ist es die Versammlung der Sozialen Bewegungen, die im Anschluss an das Treffen in Florenz erfolgreich versucht hat, die Ideen und Anregungen der mehrtägigen Diskussionen in die Tat umzusetzen. Der weltweite Protesttag gegen den Irakkrieg am 15. Februar ist dafür ein Beispiel. Auch nach dem Forum in Paris wird sich die Versammlung der Sozialen Bewegungen mit solchen praktischen Konsequenzen befassen. In den lokalen Sozialforen in Deutschland ist die Trennung zwischen Diskussion und Aktion bereits aufgehoben. Hier werden die Ergebnisse der Debatten über die neoliberale Globalisierung schon heute in Kampagnen gegen die Privatisierung des kommunalen Eigentums umgesetzt. So bietet sich auch auf Bundesebene an, im Rahmen des Sozialforums den notwendigen Kristallisationspunkt des sozialen Widerstands zu schaffen. Schon heute ist klar, dass die Agenda 2010 nur dann erfolgreich zu bekämpfen ist, wenn die verschiedensten Gruppierungen und Strömungen gemeinsam handeln.

5. Das gilt auch für das Europäische Sozialforum. Die in Florenz und nun in Paris geprägten Formen bedürfen einer Weiterentwicklung, um die beeindruckende Dynamik der Bewegung zu erhalten. Die Versammlung der Sozialen Bewegungen mit ihrer Aktionsorientierung sollte zu einer stärkeren Komponente des Forums werden. Die Generaloffensive der neoliberalen Politik gegen die sozialen und demokratischen Rechte findet in allen europäischen Ländern mit geringfügigen Unterschieden statt. Die Militarisierung der Europäischen Union betrifft uns alle. Dieser europaweiten Attacke auf die Interessen der Bevölkerungsmehrheit muss die Europäisierung des gesellschaftlichen Widerstands entgegen gesetzt werden. Nur ein gemeinsames Handeln kann dieses andere Europa in einer anderen Welt schaffen!

(Hugo Braun, 14. September 2003)

 

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